Leben im Frohsinn
Text von Urs Roesch
Im frühesten Bild, das ich gerade noch abrufen kann – vierjährig war ich da etwa – verschmelzen Tante Margrit und Onkel Carl mit der Stimmung des von ihnen erfüllten Hauses «Zum Frohsinn» in Diessenhofen. Statuen in einem geheimnisvollen, kleinen, schattigen Garten, Appenzellerschränke, Staffeleien, ein Webstuhl und überall leiser Geruch nach Terpentin und Farbe. Und dann natürlich die vielen Bilder: Es war einfach ganz anders als in meinem gewohnten Umfeld.
Im Atelier gab es Papier und Farbstifte soviel ich wollte. Nur Anleitung bekam ich nicht. «Die Fantasie eines Kindes muss sich frei entfalten können», das war das Credo bei Roeschs. Alle meine vielen Zeichnungen wurden bewundert. Später erklärte mir Tante Margrit durchaus, worauf zu achten sei: Der Vorstellungskraft des Betrachters Spielraum geben, Hell und Dunkel in Spannung setzen, Farben sich gegenseitig steigernd einsetzen, weglassen üben. Und überhaupt üben, üben, üben.
Onkel Carl malte immer allein. Ich sah ihn meist nur beim Essen. Die Essenszeiten wurden bei Roeschs stilvoll zelebriert, von Gesprächen begleitet. Teetrinken war fast eine heilige Handlung. Schönes Geschirr, die richtige Zeit ziehen lassen, heisses Wasser nachgiessen. Welch ein Unterschied zum ewigen Pfefferminztee bei uns zu Hause! Später, nach dem Umzug ins selbst gebaute Atelierhaus, war die Roesch’sche Rheinterrasse ein beliebter Treffpunkt. An schönen Sommertagen fanden sich oft spontan oder eingeladen grössere Gesellschaften zusammen.
Wunderbare, stimmungsvolle Feste kann ich mir in Erinnerung rufen. An Geburtstagen war die mir sonst unbekannte Schaffhauser Kunstszene geladen. Die Schachenmanns, Rudolf Frauenfelder, die Familie Hassler mit Fräulein Reinfried, Joseph Gnädinger und viele andere.
Es sprach sich herum, dass man bei Carl auch spät abends willkommen war, dass er erst nach Zwölf zu Bett ging. Oft besuchten ihn deshalb noch zu später Stunde vertraute und geschätzte Persönlichkeiten wie Guido Fischer vom Kunstmuseum Aarau, der Künstler Max Uehlinger aus Minusio, Konservator Freivogel vom Museum zu Allerheiligen Schaffhausen oder Dr. Ernst Schegg, Galerist vom Schloss Greifenstein. Als das Buch über die Zeichnungen von Carl entstand, sassen Heinrich Ammann und Albert Knöpfli besonders oft im Atelier und die Kunsthistorikerin Tildy Hanhart tippte einige Tagebücher Carls auf der Schreibmaschine ab. Kunstsammler Pfarrer August Feucht kam in den letzten Jahren Carls immer häufiger.
Urs Roesch (*1925), der Neffe von Carl und Margrit Roesch, ist der Erbe des Nachlasses des Künstlers. Der Text ist eine gekürzte Fassung spontaner Notizen.